Kokosöl – vom Superfood zum Supergift?

Pascal Pape

Aktualisiert: 20.1.2020

Kokosöl – Vom Superfood zum Supergift?

Wenn man denkt, alte Ernährungsirrtümer hätten sich langsam aufgelöst, kommt eine Harvard-Professorin um die Ecke und schreit durch das Internet „Kokosöl ist das reine Gift!“

Falls Du die letzten Tage im Internet warst, hast Du sicher die Hysterie um das Video der Professorin Karin Michels mitbekommen. Sie deckt angebliche Ernährungsfehler auf und der größte davon soll wohl Kokosöl sein. Gestern noch ein Superfood, heute plötzlich ein Supergift?

Wirklich? Wird Kokosöl uns alle umbringen? Warum bitte? Falls Du verwirrt bist, ich bin es auch. Also lass uns die Fakten ansehen.

Die Vorgeschichte der „bösen gesättigten Fette“

Fragt man Karin Michels, warum Kokosöl schädlich sein soll, so ist das einzige Argument „Kokosöl enthält viele gesättigte Fettsäuren“. Das ist korrekt, aber eigentlich nicht Neues. Gesättigte Fette finden wir überall in der Natur, besonders viele sind in tierischen Produkten oder auch in Kokosöl enthalten.

Doch jetzt ist es wichtig zu wissen, dass die Harvard University und gesättigte Fette eine heikle Vorgeschichte haben. Vor gut 40 Jahren wendete sich die Zuckerindustrie an Harvard-Wissenschaftler, schob ihnen ein bisschen Geld über den Tisch und äußerte die Bitte: „Zucker ist unser Gold-Esel. Leider zeigen mehr und mehr Studien, wie schädlich Zucker ist. Könnt Ihr für uns nicht ein paar Studien zaubern, die von Zucker ablenken?“

Also machten sich die Harvard-Wissenschaftler ans Werk und deklarierten gesättigte Fette als das einzig wahre Gift. Es folgten ein paar weitere Jahrzehnte und viele Millionen Dollar an Bestechungen, um den Fokus immer weiter weg vom Zucker und hin zu gesättigten Fetten zu schieben.

Das ist mittlerweile alles bekannt. Deshalb verwirrt mich dieser Angriff auf gesättigte Fette sehr – vor allem von einer Harvard-Professorin. Würde sie sagen „ich habe Bedenken“, wäre das für mich völlig ok. Aber Kokosöl als Gift zu bezeichnen, ohne klare Fakten vorzulegen, stößt mir persönlich sauer auf.

Verstopft Kokosöl die Blutgefäße?

Kokosöl besteht zu rund 90% aus gesättigten Fetten. Doch verstopft das Deine Blutgefäße? Nein.

Das Hauptargument gegen gesättigte Fette ist Cholesterin und LDL. Alle gesättigten Fette erhöhen Dein LDL – was als „schlechtes Cholesterin“ und Risikofaktor bekannt ist. Doch sie erhöhen zum Beispiel auch Dein HDL – was als herzschützend gilt. Der Irrtum entsteht, wenn man sich nur auf einen einzigen Wert konzentriert, aber alle anderen Blutwerte außer Acht lässt. Betrachtet man das Gesamtbild, so wirken gesättigte Fette neutral oder sogar positiv.

Ein einziger Blutwert wie LDL sagt überhaupt nichts aus. Das weiß übrigens auch Prof. Karin Michels. Denn zum Beispiel Sonnenblumenöl senkt den LDL-Wert deutlich stärker als Olivenöl und müsste demnach besonders herzschützend sein. Dennoch empfiehlt die Professorin Olivenöl und nicht Sonnenblumenöl – sie widerspricht sich also selbst. Einmal links, einmal rechts, was denn nun?

Oft wird auch argumentiert „Kokosfett ist bei Zimmertemperatur hart, deshalb verhärtet es Deine Arterien“. Das ist aber kein Argument, sondern eine Metapher. Obst ist bei Zimmertemperatur auch hart, aber verhärtet es deshalb Deine Arterien? Sorry, das ist Bauernfängerei.. Kokosöl verhärtet Deine Arterien nicht. Und wer derartige Theorien aufstellt, sollte bitte auch Beweise vorlegen.

Ist Kokosöl schädlich?

Kokosöl ist hauptsächlich ein Energieträger. Klar, wer sich wenig bewegt, sollte nicht löffelweise Kokosöl trinken, sondern in moderaten Mengen zu sich nehmen. Das gilt jedoch allgemein und auch für Kohlenhydrate und übrigens auch für einfach ungesättigte Fettsäuren. Kokosöl muss genauso verbrannt werden wie Olivenöl oder Bananen. Für Deinen Körper ist das relativ egal.

Die Studienlage hierzu ist zwar etwas widersprüchlich – was vor allem an den veralteten Glaubenssätzen liegt – doch neue Studien bestätigen das. Laut einer Studie, in der Daten aus 18 verschiedenen Ländern ermittelt wurden, scheint es unwichtig zu sein, ob Du mehr gesättigte Fette (wie Kokosöl) oder zum Beispiel mehr einfach ungesättigte Fette (wie Olivenöl) zu Dir nimmst.

Als größter Übeltäter dagegen haben sich verarbeitete Kohlenhydrate herausgestellt. Doch das hört man natürlich nicht so gerne, weil Brot doch so wichtig sein soll und Zucker ja auch zu den Kohlenhydraten zählt – und da könnte man die Industrie verärgern.

Bevor Du Dich von der Hysterie gegen gesättigte Fette anstecken lässt, bedenke einfach: Die Fettreserven in unserem Körper bestehen auch aus gesättigten Fetten. Unser Körper vergiftet sich aber nicht jedes Mal selbst, wenn er seine Fettreserven verbrennt. Sondern es ist völlig normaler Alltag. Gesättigte Fette sind die natürlichste Energiequelle.

Ist Kokosöl gesund?

Angeblich soll es zu Kokosöl „nicht eine einzige Studie an Menschen geben, die irgendeine positive Wirkung zeigt“. Das ist Unsinn. In einer Studie mit Malaysiern verringerte sich zum Beispiel der Hüftumfang, wenn sie zu Kokosöl griffen. Malaysier sind auch Menschen, oder? Eine weitere Studie an Frauen kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Frauen sind meine ich doch auch Menschen.

In einer anderen Studie wurde Kokosöl direkt ins Rennen gegen Olivenöl geschickt. In der Kokosöl-Gruppe nahmen die Teilnehmer (Menschen) in 16 Wochen 1,7 KG mehr ab. Das ist nicht bahnbrechend viel, aber zumindest etwas.

Daneben gibt es gleich mehrere Studien, in denen sich die Blutwerte der Teilnehmer durch Kokosöl verbesserten. Du hast richtig gehört, die Blutwerte verbesserten sich – selbst bei Patienten mit Herzerkrankungen. Warum? Kokosöl scheint den HDL-Wert besonders effizient zu erhöhen. Wie bereits erklärt, gilt dieser als ein Zeichen für besseren Herzschutz.

Und natürlich gibt es obendrauf die ganzen Studien an Tiere und im Reagenzglas, die durch die Bank positiv waren. So scheint Kokosöl antibakteriell, antientzündlich und schützend vor Oxidation. Aber davon wollen wir mal nicht anfangen, denn das sind ja keine richtigen Studien. Wie gut, dass es genug Studien an Menschen gibt.

Brauche ich Kokosöl?

Das kommt ganz auf den Einsatz und Dein Ziel an. Durch die stabilen gesättigten Fettsäuren ist Kokosöl super zum Anbraten geeignet. Außerdem ist Kokosöl – genauso wie Ghee – sehr stabil und bleibt selbst außerhalb des Kühlschranks lange frisch. 

Obendrauf weist Kokosöl eine Besonderheit auf: Die gesättigten Fettsäuren in Kokosöl bestehen zu rund 50-60% aus sogenannten mittelkettigen Triglyceriden. Diese sind nicht nur leichter verdaulich, sondern regen auch den Stoffwechsel an. Dadurch steigt der Kalorienverbrauch. Man nimmt nicht pauschal ab, nur weil man Kokosöl isst. Aber Kokosöl erhöht nachweislich den Energieverbrauch – selbst wenn man keinen oder wenig Sport treibt.

Für drei Zielgruppen ist Kokosöl deshalb besonders spannend:

1) Falls Du Dich wenig bewegst

2) Falls Du irgendeine Form von Verdauungsprobleme hast

3) Falls Du Dich ketogen ernähren willst

Fazit: Kein Wundermittel, aber ein gutes Fett

Ist Kokosöl essenziell? Nein. Ist Kokosöl ein Wundermittel? Nein. Sollte jeder von uns löffelweise Kokosöl trinken? Nein. Aber Kokosöl ist ein gutes und gesundes Öl, mit ein paar Besonderheiten.

Es wird immer wieder falsch erklärt, worauf es bei Ölen und Fetten wirklich ankommt. Deshalb hier kurz und knackig die wichtigsten Punkte:

1) Wertvolle Begleitstoffe: Olivenöl ist nicht gesund, weil es viele einfach ungesättigte Fettsäuren enthält. Der größte Pluspunkt sind die wertvollen Pflanzenstoffe und Antioxidantien, die wir in Olivenöl finden. Sie wirken schützend vor Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Um diese Stoffe so gut wie möglich zu erhalten, sollten wir Olivenöl nicht oder nur minimal erhitzen. Wir finden schützende Nährstoffe aber nicht nur in Olivenöl, sondern auch in einigen anderen Ölen, Obst, Gemüse, Kräutern und so weiter.

2) Qualität: Entscheidend ist eine gute Qualität, damit die wertvollen Begleitstoffe erhalten bleiben und nur wenige Giftstoffe enthalten sind. Tierische Produkte sind zum Beispiel nicht pauschal ungesund, nur weil sie gesättigte Fette enthalten. Tierische Produkte werden dann zum Problem, wenn sie Giftstoffe enthalten – zum Beispiel durch Massentierhaltung oder den Einsatz von Antibiotika. Dasselbe gilt für Öle, die ein Träger für Gifte wie Pestizide sein können. So sind zum Beispiel 90% der Olivenöle am Markt stark belastet. Deshalb ist Qualität entscheidend.

3) Ein gutes Fettsäureprofil: Omega-6- und Omega-3-Fettsäuren sind essenzielle Bausteine für unseren Körper und müssen im richtigen Verhältnis vorliegen. Das Verhältnis von ungefähr 1:1 bis 3:1 wirkt herzschützend und entzündungshemmend. Unseren Bedarf an Omega-3-Fettsäuren über pflanzliche Öle zu decken ist jedoch schwer bis unmöglich. Deshalb brauchen wir zum Beispiel Fischöl, um uns optimal mit Omega-3-Fettsäuren zu versorgen.

4) Das richtige Öl für den richtigen Zweck: Unterschiedliche Öle bieten unterschiedliche Vorteile. Wie bereits erklärt, ist Kokosöl zum Beispiel sehr stabil. Olivenöl dagegen liefert wertvolle Pflanzenstoffe. Butter und Ghee enthalten darmpflegende Fettsäuren. Und so weiter…

Am Ende ist deshalb die Mischung entscheidend: Fischöl liefert die wertvollen Omega-3-Fettsäuren. Olivenöl ist perfekt für den Salat oder leicht erhitzt. Ghee und Butter wirken darmpflegend. Zum Anbraten eignen sich Ghee, Kokosöl oder Palmöl.

Persönlich verwende ich übrigens sehr gerne rotes Palmöl aus nachhaltigem Anbau. Rotes Palmöl ist wie eine Kreuzung aus Olivenöl und Kokosöl: Rotes Palmöl ist auf der einen Seite hitzebeständiger als Olivenöl und enthält auf der anderen Seite deutlich mehr schützende Antioxidantien als Kokosöl. Obendrauf hat es einen leckeren karottigen Geschmack. Und nein, rotes Palmöl bedroht nicht die Umwelt, wenn es zum Beispiel in Afrika nachhaltig angebaut wird.

Dennoch ist auch Kokosöl eine gute Wahl für Sportmuffel, Keto-Fans und bei Verdauungsproblemen. Auch zum scharfen Anbraten ist Kokosöl perfekt geeignet.

Puh, jetzt dürfen alle wieder durchatmen. Solltest Du dennoch weiterhin Bedenken haben, hinterlass mir gerne einen Kommentar.

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